"Eingezogen" | ||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
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Über den Autor (Verlag) |
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Hans-Joachim Grünitz, Lausitzer des Jahrgangs
1954, erinnert sich an seine Zeit als Wehrpflichtiger und Reservist der
Nationalen Volksarmee. Detailgetreu schildert er das Leben eines gewöhnlichen
Soldaten, läßt unmittelbar teilhaben an Drill, Kommißgeschichten,
gelegentlichen Vergnügungen und schwerwiegender Gewissensentscheidung.
1977 eingezogen, gelingt Grünitz ein authentischer und anekdotenreicher
Blick auf den militärischen Alltag in der DDR der siebziger Jahre.
Ende der achtziger Jahre erlebt er anläßlich einer Reserveübung
die ersten Auflösungserscheinungen der sozialistischen Ordnung. |
Leseprobe (Verlag) |
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Vorwort 1977. In Ost-Berlin trifft die westdeutsche Ausstellung „Fotografie in Wissenschaft und Technik“ auf überwältigendes Interesse. Bundespräsident Carstens untersagt die Ausführung der Pläne Christos, den Reichstag zu verhüllen. Die Bundesrepublik wird von Terroranschlägen erschüttert; der „Deutsche Herbst“ gipfelt in Entführungen, Morden und Selbstmorden. Der Bundestag verabschiedet eine Wehrdienstnovelle, wonach die Gewissensprüfung für Kriegsdienstverweigerer abgeschafft wird. (Im darauffolgenden Jahr erklärt das Bundesverfassungsgericht dies für verfassungswidrig.) 1977. Hans-Joachim Grünitz wird eingezogen. In den hier publizierten Erinnerungen an seine Militärzeit verzichtet er weitgehend auf die Erörterung politischer Umstände und Entwicklungen jener Zeit. Gewiß, er berichtet von der mal gähnenden, mal dröhnenden Langeweile, die der jüngst verstorbene „Sudel-Ede“ (Karl-Eduard von Schnitzler) verbreitete und von dem immer gleichen Propaganda-Geschwafel der Polit-Offiziere. Doch getreulich folgt er seinem Ziel, nur das Selbsterlebte zu schildern, detailgenau und minutiös. Anekdotenreich und mit wachem Blick auf menschliche Verhaltensweisen gelingt es ihm so, den Alltag eines NVA-Wehrpflichtigen authentisch nachzuzeichnen. Andere haben mehr gelitten, wie jener junge Mann, dessen Tagebuch im selben Verlag vorliegt. Daß Grünitz auch die Pfadfinder-Idylle des Wehrdienstes erlebt und genossen hat, gehört zum Ganzen und spiegelt wohl das Erleben der meisten Soldaten wider. Ob deren Behauptung „Richtig gedient haben muß man schon!“ unwidersprochen bleibt, sei dem Leser anheimgelegt. Hans-Joachim Grünitz hat seinen Dienst geleistet, nicht ohne dabei den absonderlichen Erscheinungen einer Armee auf die Spur zu kommen und hat, als er aufgefordert wird, dem Schießbefehl an der innerdeutschen Grenze zuzustimmen, eine einsame Entscheidung getroffen. 18. Februar 1978. Das DDR-Kulturministerium legt einen
„Plan zur langfristigen Entwicklung der sozialistischen Kultur und
ihrer materiell technischen Basis“ vor. Unter anderem wird dort
eine Steigerung der jährlichen Buchneuerscheinungen von 5900 auf
7200 avisiert. „Eingezogen“ wäre nicht dabei gewesen. Prolog Einleitung |
Leseprobe (aus dem NVA-Forum - mit freundlicher Genehmigung des Autors) |
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... . In der Folgezeit lehrte mich mein Spieß das Handwerk militärischer
Kompanie-Verwaltung mit all seinen Registern, Tricks und Kniffen. Und
wir lernten uns näher kennen. Eines hatten wir von Anfang an gemeinsam:
die bedingungslose Liebe zur Ordnung. Diese Ordungsliebe, die mir auch
heute noch manchmal als Pedanterie angekreidet wird, war sicher das Erste,
was der Hauptfeld angenehm berührt registrierte. Und auch sonst gab
ich mir redlich Mühe. Diese Tätigkeit war für mich persönlich
das Beste im bisherigen Militärleben - das, was ich auch zu leisten
bereit war. Und meine damals doch etwas angekratzte Seele kam endlich
zur Ruhe. |
Leseprobe (aus dem NVA-Forum - mit freundlicher Genehmigung des Autors) |
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Perfekte Organisation und penible Ordnung, die zwei wichtigsten Tugenden
der Schreibstube mußten von Zeit zu Zeit trainiert werden. Das dachte
sich wohl der Spieß und holte aus, zu einem Manöverschlag bester
Güte. Schlachtfeld: Schreibstube, Manöverzeit: hellichter Tag.
Das macht nichts, es gibt ja Vorhänge und die sind beim Militär
lichtdicht. "Schreiber, du mußt wissen wo jedes einzelne Formular
liegt und es jederzeit im Dunkeln finden!" Sprach's und zog die Vorhänge
zu. Danach die Aufforderung, bestimmte Formulare den Schränken zu
entnehmen und natürlich geordnet in einem Teil I zu verstauen. Ohne
Taschenlampe! Die hätte ja einem Sabotageakt zum Opfer gefallen sein
können. Oder es wären schlicht und einfach die Batterien ausgelaufen.
Waren nicht die Besten damals. |
Leseprobe (aus dem NVA-Forum - mit freundlicher Genehmigung des Autors) |
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In der Zeit der politischen Wende, weilte ich mit meiner Familie noch einmal in Johanngeorgenstadt, wo alles begann. Wir feierten dort in einer kleinen Pension Silvester. Die Kaserne, die mir einst in der Grundausbildung ein halbes Jahr lang Schrecken eingeflößt hatte, war zu dem Zeitpunkt keine mehr. Man hatte hier ausgerechnet ein Erholungsheim eingerichtet. Zehn Jahre später, im Jahr 2000, besuchte ich eine weitere ehemalige Etappe meines Soldatenlebens. Ich fuhr mit meiner Frau dorthin, wo ich einst als Schreiber meinen Dienst versah. Nach Stockhausen bei Eisenach. Und hier konnten wir auch gleich Quartier beziehen. Die ehemalige Fliegerschule und spätere Kaserne der Grenztruppen der DDR ist heute ein sehr schönes Hotel. Der ganze Gebäudekomplex wurde saniert, wobei die unschlagbare Architektur beibehalten wurde. Das ursprüngliche Offizierskasino, zu meiner Soldatenzeit Speisesaal, ist jetzt das Hotelrestaurant in Form eines amerikanischen Grillhauses. Es gibt sie noch, die acht Granitsäulen und das schwere Gebälk an der Decke. Nur die alten abgeschlagenen Wappen an den Säulen aus der NS-Zeit scheinen nicht mehr durch. Dort wo wir einst unsere Bestecke abgewaschen haben, befindet sich nunmehr die Rezeption und der ehemalige Soladtenclubraum ist jetzt ein sehr schönes Frühstückszimmer. Ich war hocherfreut, als ich das Gebäudeensemble in so gutem Zustand vorgefunden habe. Sehr betrübt hat mich dann ein Telefonat, das ich schon so viele Jahre vor mir hergeschoben hatte. Angeregt durch die euphorische Stimmung wählte ich die Nummer meines alten Hauptfelds in Treffurt. Seine Frau sagte mir, daß ihr Mann bereits 1996 nach langer schwerer Krankheit verstorben ist. Zu gern hätte ich ihn noch einmal gesehen. Durch das Objekt meiner ersten Reservezeit bin ich seither schon oft gefahren. Der Med-Punkt des Militärflugplatzes Drewitz-Süd, in dem ich eigentlich zu einem fähigen Sanitäter ausgebildet werden sollte und dann doch nur Faschingsgebisse gebaut habe, war nach der Wende eine Zeit lang vom Bundesgrenzschutz genutzt worden. Jetzt steht er wieder leer, wie viele andere Gebäude des Objektes auch. Durch die ehemalige "Schweineküche", in der ich seinerzeit Essenproben genommen habe, bin ich durchgelaufen. Hier kocht niemand mehr. Nur noch die alten Kessel zeugen vom einstigen Zweck des Gebäudes. Und dort wo früher die MIGs standen, findet man heute einen modernen zivilen Regional-Flugplatz. Auch den Ort meiner zweiten Reservezeit, dort wo der "Blitzkrieg" stattgefunden hat, habe ich gemeinsam mit meinem Schwager besucht. Die Waldlichtung an der Autobahn gibt es noch. Auch stehen noch einige der Massivbauten. Im Wald fanden wir sogar alte zerschlagene Schnapsflaschen von damals sowie verrostete Blechbüchsen der Komplektenahrung. Die Aufschrift "Thüringer Rotwurst" war noch deutlich zu lesen. Und genau dort wo mein Zelt stand, meint man in der Erde noch die Abdrücke meines Hockers zu erkennen. Die Unteroffiziersschulterstücke liegen wie einige andere Erinnerungsstücke noch heute in einer Schublade meines Schreibtisches. Sie sind wie neu und gänzlich unbenutz, ich hoffe, das bleibt auch so. Die Gespräche der Gedienten aber wird es weiter geben. Von Generation
zu Generation werden die Erinnerungen ausgetauscht. Und sicher wird es
nicht immer die ganze Wahrheit sein. Ein kleines Stück Wahrheit bleibt.
Nachzulesen in diesem Buch. |