Attentat
.... Es kamen die Befehle: „Richten, Laden, Batterie Feuer.“
Ein kurzer gewaltiger Knall der gesamten Salve. Die K 1 hatten fast synchron
abgezogen, also die Geschütze abgefeuert, so dass die Salve wie ein
einziger gigantisch lauter Schuss klang. Vielleicht drei Minuten später
hörten wir das dumpfe und daher fast ebenfalls synchron klingende
Grollen der Einschläge. Wiederum vielleicht nur 1 Minute danach klang
eine nahezu hysterisch kreischende Stimme durch das ebenfalls in der Stellung
befindliche Funkgerät. „Alle Bedienungen zurücktreten!!“
Dann war Totenstille. Der Befehl, „Alle Bedienungen zurücktreten“,
verhieß nichts Gutes, denn der wurde immer nur dann gegeben, wenn
im Zielgebiet irgend etwas schief gelaufen ist und nun anhand der Einstellungen
an den Geschützen herausgefunden werden muss, welcher Geschützbedienung
ein Fehler unterlaufen ist.
Während der BO völlig apathisch vor dem Zelt auf und ab lief,
erschien die Landschaft wie tot. Kein Laut, kein Luftzug, alles nur eine
bleierne, tödliche Hitze. Der General war zwischenzeitlich verschwunden.
Keiner hatte bemerkt wann. Vielleicht nach 5 Minuten, die wir im vorgeschriebenem
Abstand von den Geschützen warteten, schlagartig tobender Lärm!
Motorenlärm setzte aus allen Richtungen ein. Selbst von oben wurde
es laut, denn ein Mi 16 - Kampfhubschrauber war plötzlich über
uns, während um uns herum plötzlich unzählige Fallschirmjäger
der russischen Armee aus den Büschen sprangen! Irgendwoher kam in
gebrochenem Deutsch: „Legen Sie die Waffen weg, mit dem Gesicht
auf den Boden, Hände ins Genick. Wer diesem Befehl nicht nachkommt
wird ohne weitere Aufforderung sofort erschossen!“ Wir waren wie
gelähmt, denn so etwas hatte noch keiner von uns erlebt. Da dies
ein kollektiver Zustand war, wurde aus dem Hubschrauber eine MPi Salve
über unsere Köpfe hinweg abgegeben. Sofort lagen wir alle mit
dem Gesicht im Dreck, die Waffen einfach von uns wegwerfend. Auch der
BO machte da keine Ausnahme. Der Hubschrauber setzte unmittelbar neben
unserer Stellung auf, wobei infolge des extrem trockenen Sandbodens eine
riesige Staubwolke aufgewirbelt wurde. Ohne sich dadurch stören zu
lassen, sprangen die russischen Fallschirmjäger zwischen uns hindurch,
nahmen uns auch die Bajonette von den Gürteln und fesselten unsere
Hände mit Drahtschlingen auf den Rücken. Weil sie dabei auch
keinerlei Rücksicht nahmen war dies extrem schmerzhaft. Ich merkte,
hier befinden wir uns richtig im Krieg, hier wird nichts mehr gespielt!
Nachdem alle entwaffnet und gefesselt waren, kam der Befehl: „Aufstehen,
dawai!!“ Mühsam rappelten wir uns mit den auf dem Rücken
gefesselten Armen nach oben. Dann wurden wir auf dem Platz vor den Geschützrohren
zusammen getrieben wo wir uns einschließlich unserem BO wieder setzen
sollten.
Während dessen umringten uns ca. 20 Fallschirmjäger und richteten
ihre Maschinenpistolen auf uns! Ein Soldat muss vor etwas erschrocken
sein, denn mit einem Schrei sprang er auf. Im gleichen Moment peitschten
mehrere Schüsse aus unterschiedlichen Waffen und der Mann brach genauso
schnell wieder zusammen, wie er aufgesprungen war. Er wand sich noch einige
Momente in wilden Zuckungen auf dem Sandboden, dann blieb er mit starr
geöffneten Augen tot liegen. Der Rest der Soldaten schaute dem ganzen
völlig geschockt zu. Keiner sagte etwas, jedoch war allen das Entsetzen
ins Gesicht geschrieben.
Inzwischen waren noch mehrere UAZ in unserer Stellung eingetroffen und
die Offiziere durchsuchten das BO-Zelt und dann die Geschütze. Die
gesamte Zeit über sprach keiner mehr ein Wort zu uns. Ein Soldat
richtete sich plötzlich auf um etwas zu sagen, sofort zeigten mehrere
Mpi Läufe auf ihn. Er sagte: „Ich muss mal pinkeln“ keiner
der Bewacher reagierte. Darauf er noch einmal: „Ich muss mal pinkeln.“
Ein Falli kam auf ihn zu, sah ihm kurz ins Gesicht und trat zu. Der Tritt
wurde genau von unten unters Kinn gekickt, so dass nur ein kurzes Knirschen
bzw. Knacken zu hören war. Mit leicht verdrehtem Kopf und gebrochenen
Augen kippte der Soldat hinten über. Genickbruch! In diesem Moment
sah ich unter dem Soldaten neben mir den Sand dunkel werden. Offensichtlich
die beste Lösung seinen Harndrang zu regulieren. Ich schaute mich
um. Er war nicht der erste der sich eingepinkelt hatte.
Inzwischen fühlten sich die Hände kalt und taub an, denn die
Drahtschlingen schnitten tief ins Fleisch! Plötzlich kam Bewegung
in der Geschützstellung auf. Unser Batteriechef kam ebenfalls entwaffnet,
etwas mitgenommen aussehend und von zwei russischen Fallschirmjägern
eskortiert auf uns zu. Er rief: Oberleutnant aufstehen und zu mir!“
Der BO quälte sich hoch und folgte sofort von zwei Fallschirmjägern
in die Mitte genommen dem Batteriechef. in ihren UAZ. Die anderen Offiziere
brachen ebenfalls auf. Einer gab mit einer kurzen über dem Kopf kreisenden
Handbewegung ein Signal zu den uns bewachenden Falli`s und rief: „Paschli!
Dawai, Dawai!!“ Sofort ließen diese ihre Waffen sinken und
marschierten zu den Lkws von denen sie vor vielleicht 2 Stunden abgesprungen
waren. Alle saßen auf und ein paar Augenblicke später war alles
wie ein Spuk verschwunden.
Lägen da nicht zwei tote Soldaten, könnte man glauben nichts
sei passiert. Plötzlich tauchte unser Spieß aus den Büschen
auf. Zusammen mit den beiden Offizieren machte er sich daran unsere Drahtschlingen
zu öffnen.
Nachdem wir unsere Hände wieder frei hatten, rappelten wir uns auf.
Ich schaute mir meine Handgelenke und Hände an und sah, dass es höchste
Zeit gewesen war die Drahtschlingen zu öffnen. Blutig eingeschnittene
Furchen zogen sich um die Handgelenke und die Hände waren dick und
dunkelrot angeschwollen. Der BC ließ über Funk nunmehr den
Abteilungskommandeur über das Vorgefallene informieren und die Toten
mit Zeltplanen abdecken. Wir sammelten derweil unsere Bajonette wieder
ein. Die Zuordnung war insofern schwierig war, weil wir natürlich
nicht die Nummern der Waffen im Kopf hatten. So griff sich jeder das Bajonett,
von dem er glaubte es wäre seins und nach einigen Diskussionen untereinander
und einigem Hin- und Hertauschen, war es dann geschafft dass jeder wieder
eins hatte.
Inzwischen waren sowohl der Abteilungskommandeur als auch einige uns unbekannte
Offiziere einschließlich eines Generals in unserer Geschützstellung
aufgetaucht. Der BC ließ uns zu einem Appell Aufstellung nehmen.
Dann befahl er dass die Bedienungen zu denen die Toten gehörten,
diese auf den Spieß-Ural luden. Jeweils vier Mann packten einen
Toten an Armen und Beinen und trugen diese zum Fahrzeug. Dann ging es
wie mit einem Kartoffelsack, zwei mal Schwung geholt und die Leichen flogen
im hohen Bogen aufs Fahrzeug.
Die fremden Offiziere fuhren gleichzeitig mit dem Spieß-Ural davon.
Nachdem die Bedienungen zurück in die Appellformation getreten waren
baute sich der Abteilungskommandeur vor uns auf und teilte uns mit:
„Genossen Soldaten, das was hier und heute geschehen ist unterliegt
der militärischen Geheimhaltung. Wenn auch nur einer von Ihnen über
das hier Vorgefallene spricht, wird er unter Anklage wegen Hochverrats
gestellt. Dies bedeutet im Einzelfall mindestens 12 Jahre schweres Zuchthaus,
davon 3 Jahre Militärgefängnis Schwedt. Die Personen, die von
Ihnen in Kenntnis gesetzt wurden, werden dann über andere Strafverfahren
ebenfalls in Gewahrsam genommen. Die Zukunft Ihrer Familien und auch Ihre
Zukunft im Zivilleben können Sie somit vergessen. Es ist ohnehin
fraglich ob Sie Schwedt überhaupt überleben.“ Dann wandte
er sich dem neben ihm stehenden BC zu und sagte: „Hauptmann Lackie,
lassen Sie wegtreten.“ Dieser trat vor und brüllte: „Batterie
stillgestanden, richt Euch, Augen gerade aus, an die Geschütze wegtreten!“
Völlig bedeppert gingen wir zu unseren Geschützen. Der Rest
des Tages verlief ohne weitere Zwischenfälle. Zum Abend erhielten
wir den Befehl ins Zeltlager zurück zu kehren. Zwei Soldaten und
ein Funker wurden als Wachen in der Stellung zurückgelassen. Im Zeltlager
angekommen duschten wir erst einmal in unserer Feld-Dusche. Diese bestand
aus zwei mit jungen Baumstämmen abgesteckten und mit Zeltplanen umkleideten
Vierecken als Kabine. Als Dusche dienten unsere Blechschüsseln, mit
denen wir uns das kalte Wasser über den Kopf gossen. Am Abend musste
ich wieder die Offiziere bedienen, wobei ich es dieses mal gern tat, denn
so bekam ich immer wieder am Zelt lauschend mit, was an diesem Tag eigentlich
wirklich passiert war. Die Geschichte war so haarsträubend wie interessant.
Den General, der in unserer Stellung aufgetaucht war und der den BO zur
Schnecke gemacht hatte, gab es gar nicht! Dessen Befehl den Hauptfestlegepunkt
zu wechseln hatte dazu geführt, dass die Geschütze nicht mehr
ins Zielgebiet schossen. Vielmehr wäre die Beobachtungstribüne
weg geschossen worden! Auf der Tribüne saßen sämtliche
Generale und hohen Offiziere des Generalstabs der Warschauer Vertragsstaaten.
Deshalb erfolgte also auch kein Orientierungsschuss des Grundgeschützes,
sondern vielmehr wurde sofort eine ganze Salve abgefeuert. Die Tribüne,
von der aus man die Wirkung unseres Artilleriefeuers im eigentlichen Zielgebiet
mit Feldstechern beobachten konnte wäre somit mit einem Schlag vollständig
vernichtet worden. Diese Aufgabe war, von wem auch immer deshalb unserer
Batterie zugedacht worden, weil wir die beste Artilleriebatterie der 11.
Motschützendivision waren. Dieses über Jahre hinweg, war wohl
der Garant einer 100 prozentigen Trefferquote. Womit jedoch keiner rechnen
konnte war ein Fehler, der wiederum nach den Gefechtsabläufen in
einer Artilleriebatterie ausgeschlossen war, das heißt unmöglich
auftreten konnte. Die Zielkoordinaten wurden per Funk durchgegeben und
vom Rechner auf dem Tablot für die Geschütze umgerechnet. Dessen
Resultate wurden nochmals vom Batterieoffizier kontrolliert und nachgerechnet,
so war es de facto ausgeschlossen das ein evtl. dem Rechner unterlaufener
Fehler unentdeckt blieb und falsch geschossen würde. Da wir die Besten
waren, konnte davon ausgegangen werden, dass wir fehlerfrei schießen
würden. Dies war jedoch nicht der Fall. Durch die, vom General künstlich
erzeugte Hektik und die Angst des BO vor erneuter Degradierung, war der
BO derart verstört, dass er den Fehler des Rechners nicht bemerkte
und die fehlerhaften Koordinaten für den Feuerbefehl frei gab. Der
Rechner hatte sich jedoch um zwei Strich in der Höhe verrechnet und
so kam es, dass die Tribüne mit der Generalität, Mitgliedern
des ZK der SED und Beobachtern der Nato nicht mit einem einzigen Hieb
weggeschossen wurde. Vielmehr pfiff die gesamte Salve ca. 40 Meter über
den Köpfen der auf der Tribüne stehenden hinweg und schlug ca.
300 Meter hinter der Tribüne ein. Da der Splitterradius der auf Splitter/Spreng
gestellten Granaten nur 250 Meter betrug, blieben die Personen auf der
Tribüne unverletzt. Die dahinter befindlichen Fahrzeuge und Soldaten
wurden jedoch vollständig zerstört bzw. getötet. Als die
Salve über die Tribüne hinwegraste müssen angeblich alle
ruckartig mit der Nase im Dreck gelegen haben. Auch sollen einige Generalshosen
danach im Schritt wesentlich dunkler gewesen sein.
Wäre dem Rechner in seiner Angst nicht dieser Fehler unterlaufen
und hätte ihn der ebenfalls extrem verängstigte BO nicht übersehen,
wäre im August 1984 ein Großteil der militärischen Führung
der Warschauer Vertragsstaaten ums Leben gekommen, die weitere politische
Entwicklung im Sozialistischen Lager mit Sicherheit anders verlaufen und
wir standrechtlich erschossen worden. …..
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