|
Quellennachweis |
Egon Krenz; "Wenn
Mauern fallen." Urschrift
von einem Mitglied des NVA-Forums (Sven_10) zur Verfügung gestellt. |
|
|
Fritz Streletz arbeitete den Befehl Nr. 12/89 des Vorsitzenden des
Nationalen Verteidigungsrates ӟber die Bildung einer operativen
Führungsgruppe des Nationalen Verteidigungsrates der Deutschen
Demokratischen Republik” in meinem Vorzimmer aus. Dort, wo er
bereits am 16. Oktober 1989 den Befehl zur Situation in Leipzig formuliert
hatte. Der Führungsgruppe gehörten außer Streletz und
dem Chef der Grenztruppen keine Mitglieder des Zentralkomitees an. Das
hing damit zusammen, daß die 10. Tagung weiter ging. Zur operativen
Führungsgruppe gehörten weiter: ein Stellvertreter des Ministers
für Staatssicherheit, ein Stellvertreter des Innenministeriums,
der zugleich Chef des Stabes der Volkspolizei war, ein Stellvertreter
des Ministers für Auswärtige Angelegenheiten, der Leiter der
Abteilung für Parteiorgane des Zentralkomitees, der Leiter der
Arbeitsgruppe für Organisation und Inspektion beim Ministerrat
der DDR. Alexander Schalck war nicht Mitglied des Gruppe, weil er seine
Aufträge direkt von mir erhielt. Er arbeitete mit der Führungsgruppe
jedoch eng zusammen. Die Aufgabe der Führungsgruppe, die ihrem
Wesen nach eine Arbeitsgruppe war, bestand darin, Informationen über
die Gesamtlage auf dem Territorium der DDR zu sammeln und zu analysieren,
ununterbrochen die Lage des Gegners im Westen einzuschätzen sowie
Schlußfolgerungen bzw. Vorschläge für gesamtstaatliche
Führungsentscheidungen vorzubereiten. Die Arbeitsgruppe tagte in
meinem Arbeitszimmer im Zentralkomitee. Sie meldete mir täglich
bis 9 00 Uhr die Gesamtlage auf dem Territorium der DDR. Über schwerwiegenden
besondere Vorkommnisse mußte ich sofort informiert werden. Kurz
vor 8:00 Uhr legte Streletz mir den Befehl zur Unterschrift vor. Um
8 00 Uhr wies ich die Mitglieder der Gruppe in ihre Arbeit ein. Die
operative Führungsgruppe hatte keine Befehlsgewalt. Sie hatte weder
den Auftrag, militärische Maßnahmen für das Schließen
der Grenze zu planen, noch über einen ”Ausnahmezustand”
nachzudenken. Der war laut DDR - Verfassung nicht vorgesehen. Mit meinem
Wissen oder durch Auftrag der mir unterstellten Minister für Verteidigung,
für Staatssicherheit und Inneres sind zu keinem Zeitpunkt militärische
oder andere Aktionen zur Schließung der Grenze unternommen worden.
Im Gegenteil: alle Alarmierungen hatten nur ein Ziel: bereit zu sein,
wenn die Grenztruppen der DDR bei der Erschließung neuer Übergänge
Unterstützung bräuchten. Zum Einsatz der Armee gegen das eigene
Volk hat es in meiner Amtszeit keinen Befehl gegeben. Es ist nach meiner
Kenntnis unwahr, daß in der Operativen Führungsgruppe jemals
die Frage erörtert wurden sei, ob die Grenzübergänge
wieder geschlossen und der alte Zustand wieder hergestellt werden solle.
Niemals wurde die Frage erörtert, ob dafür die Nationale Volksarmee
eingesetzt werden könnte.
|