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Herger: |
Ich bekam dann den Entwurf der Verordnung. Zwischen 12.30 und
13.00 Uhr hat es während der 10. ZK-Tagung eine Pause gegeben.
Dazu gibt es zum Teil völlig sinnentstellte Darstellungen.
Es fand keine Sitzung statt. Da habe ich mich in einer Darstellung
auch schon geirrt. Es fand keine reguläre Sitzung, auch keine
außerordentliche Sitzung des Politbüros statt, sondern
die Sache war so: Ich habe Egon Krenz diesen Entwurf in die Hand
gedrückt. Einige Mitglieder und Kandidaten des Politbüros
liefen schon in den Nachbarraum, um sich dort etwas zu essen zu
holen. Egon Krenz sagte: "Bleibt doch mal hier, ich habe hier
etwas ganz Wichtiges." Einige Mitglieder des Politbüros
standen im Präsidium der ZK-Tagung um ihn herum, und er verlas
den Entwurf dieser Verordnung. |
Hertle: |
Im Saal? |
Herger: |
Im Saal schon, aber nur im Präsidium oben ... |
Hertle: |
... ich meine, im Plenarsaal? |
Herger: |
Im Plenarsaal! Aber nicht vor dem gesamten ZK, das kam später.
Die meisten Mitglieder des ZK waren draußen, wie gesagt, einige
Mitglieder des Politbüros waren auch schon rausgegangen. Ich
weiß z.B. nicht, ob Schabowski da war und um 12.30 Uhr mitgehört
oder nicht mitgehört hat. Er sagt, er habe es nicht gehört.
Aber ich kann weder ja noch nein sagen. Ich weiß überhaupt
nicht, wer das mitangehört hat - ich habe es schon so oft versucht
zu rekonstruieren. Ich kann mich noch genau erinnern an Jochen Willerding
und Günter Sieber, weil Egon Krenz sagte: "Bleibt bitte
da, das geht euch auch an. Es geht hier auch um die Internationale
Auswirkung." Ich kann mich auf die Namen der anderen nicht
festlegen. Vielleicht war es die Hälfte etwa des Politbüros,
die dabei war. Von den anwesenden Mitgliedern des Politbüros
wurde dem im wesentlichen zugestimmt. Es gab zwei oder drei Bemerkungen,
die aber lediglich stilistische Veränderungen waren. Das weiß
ich deswegen noch so genau, weil Egon Krenz zu mir gesagt hat: "Ruf
Willi Stoph an, damit dem Ministerrat nicht zwei Fassungen vorgelegt
werden; eine, die wir jetzt hier diskutiert haben, und eine, die
dann andere Formulierungen hat." Gegen 13.00 Uhr habe ich mit
Willi Stoph telefoniert ... |
Hertle: |
... war Stoph am Amtssitz oder im ZK-Gebäude? |
Herger: |
Er war im Hause des Ministerrats. Ich habe ihn über die interne,
die sogenannte W-Tsch-Leitung, die geheime Leitung, erreichen können. |
Hertle: |
Er hatte den Entwurf schon vorliegen? |
Herger: |
Er hatte den Entwurf schon vorliegen, ja, klar ... |
Hertle: |
... von Gerhard Lauter ... |
Herger: |
... von Lauter oder von Friedrich Dickel, nehme ich an, also
auf dem offiziellen Dienstweg. Lauter hatte ihn wahrscheinlich Dickel
gegeben, und Dickel wird ihn Stoph gegeben haben. |
Hertle: |
Von wem hatten Sie den Entwurf im ZK-Gebäude bekommen? |
Herger: |
Ich habe den Entwurf von einem Mitarbeiter der Abteilung für
Sicherheitsfragen bekommen, der die Verbindung zwischen mir und
dem Beauftragten von Fritz Dickel gehalten hat. |
Hertle: |
Von Lauter ist die Vorlage in das ZK-Gebäude ... |
Herger: |
... direkt zu mir gekommen über einen Mitarbeiter. |
Hertle: |
Und gleichzeitig zu Dickel? |
Herger: |
Ja, gleichzeitig zu Dickel. Und Dickel hat sie Stoph – offensichtlich
über Kurier – geschickt, denn es war ja schon eine Vorlage
für den Ministerrat. |
Wolfgang Herger war zum damailigen Zeitpunkt Sekretär der Sicherheitsabteilung
des Zentralkomitees der SED